Pressebericht Main-Echo online: Wenn schon Kindern der Tod droht

Der Miltenberger Kinderhospizdienst ist in der Corona-Krise mit Mundschutz für Familien da

Manch­mal war sie in den ver­gan­ge­nen Jah­ren na­he da­ran, zu re­sig­nie­ren: Das Schick­sal mein­te es nicht gut mit Hei­di F. (Na­me al­ler Fa­mi­li­en­mit­g­lie­der ge­än­dert). Vor 14 Jah­ren kam ihr Sohn Tom mehr­fach­be­hin­dert zur Welt. Vor sechs Jah­ren er­litt Hei­dis Mann ei­nen Herz­in­farkt. Bis heu­te ist er in­ten­sivpf­le­ge­be­dürf­tig. Ei­nen Licht­blick al­ler­dings gibt es, wie die 44-Jäh­ri­ge aus dem Land­kreis Mil­ten­berg er­zählt: »Wir neh­men seit drei Jah­ren den Am­bu­lan­ten Kin­der- und Ju­gend­ho­spiz­di­enst Mil­ten­berg in An­spruch, das hilft uns sehr.«

In vielen Momenten ist Tom für Heidi F. eine Quelle der Freude. Zwar kann ihr Sohn nicht sprechen. Er kann nicht sitzen und nicht laufen: »Doch obwohl er so wenig machen kann, lacht er viel, er scheint wirklich glücklich bei uns zu sein.« Wenn sie Tom lachen sieht, ist Heidi F. versöhnt mit ihrem Schicksal, Mutter eines schwerstbehinderten Kindes zu sein. Doch es gibt auch die andere Seite: Ein Kind mit einem so starken Handicap zu haben, bedeutet, bis zu 24 Stunden am Tag eingespannt zu sein. Vor drei Jahren war Heidi F. am Ende: »Der Kinderarzt hat mir deshalb geraten, mich an den Hospizdienst zu wenden.« Seither kommt jede Woche eine Hospizhelferin zur Familie nach Hause.

Dass sie der Situation irgendwann nicht mehr gewachsen sind, ist typisch für die meisten der begleiteten Familien, erklärt Tanja Munzinger-Rust, die den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Miltenberg koordiniert. Neun Familien werden derzeit unterstützt. Eine Familie hat gleich zwei betroffene Kinder. In zwei Fällen erhalten Familien Hilfe, deren lebensverkürzend erkranktes Kind inzwischen verstorben ist und die nun Trauerarbeit leisten müssen. Außerdem werden vier Geschwister von schwerstkranken Kindern begleitet. Auch Sabine, die neun Jahre alte Tochter von Heidi F., erhält vom Kinder- und Jugendhospizdienst Hilfe.

Tanja Munzinger-Rust hat immer eine Lösung, wenn Schwierigkeiten auftreten, erzählt Heidi F.: »Und ich hatte in den letzten drei Jahren wirklich viele Probleme, bei denen ich nicht weiter wusste.« Doch auch die ganz normale Begleitung bedeutet für Heidi F. eine immense Entlastung. Zwei Stunden lang muss sie sich nicht um ihren Sohn kümmern, wenn eine der beiden Ehrenamtlichen, die für ihre Familie eingeteilt sind, zu ihr kommen. Tom selbst strahlt, wenn er »seine« Hospizbegleiterinnen sieht. Mal geht es dann nach draußen zum Spaziergang. Mal wird ihm vorgelesen. Nur während der Corona-Hochphase gab es keinen Besuch.

Inzwischen trifft Tom seine Hospizbegleiterinnen wieder jede Woche. Wobei die Treffen noch nicht »normal« sind. »In der Wohnung müssen die Begleiterinnen ihre Schutzmaske auflassen«, erzählt Heidi F. Das ist für Tom schwierig, denn er ist auf die Mimik seines Gegenübers angewiesen. Trotz dieser problematischen Umstände gehört Heidi F. zu jenen aktuell vier Familien, die sich weiter begleiten lassen wollen. Andere Familien wagen dies aus Angst vor einer Ansteckung laut Tanja Munzinger-Rust noch nicht. Auch sind viele Hospizbegleiter noch nicht wieder aktiv, weil sie zur Risikogruppe gehören: »Zehn unserer 21 Ehrenamtlichen tun gerade Dienst.«

Die Corona-Krise ist für die Miltenberger Organisation in vielerlei Hinsicht schwierig, schildert die Hospizkoordinatorin. Nicht zuletzt finanziell: »Seit Anfang des Jahres haben wir ein Drittel weniger Spenden erhalten.« Das ist höchst problematisch, weil sich die Arbeit des Dienstes zu 75 Prozent aus Spenden finanziert.

Geld ist für das Büro und die hauptamtliche Stelle nötig. Um zu Einnahmen zu kommen, wollte der Dienst im Sommer ein erstes Benefiz-Open-Air-Konzert organisieren. Das fällt nun aus.

Trotz dieser Sorgen will der Dienst die Familien weiter mit Rat und Tat unterstützen. Wichtig ist es für Tanja Munzinger-Rust vor allem, Familien, die noch nicht an den Hospizdienst angebunden sind, zu ermutigen, sich auf eine Begleitung einzulassen. In Miltenberg wird, wie überall sonst in Deutschland, nur ein Bruchteil der Familien mit einem unheilbar kranken Kind erreicht: »Die Dunkelziffer ist sehr hoch.« Was an starken Berührungsängsten liegt - die auch verständlich seien: »Den Hospizdienst einzuschalten, das bedeutet ja, schmerzhaft darauf zu schauen, dass das Kind lebensverkürzend erkrankt ist.«

Heidi F. weiß nur zu gut, in welcher Notsituation die Eltern stecken: »Auch bei mir hat es sehr lange gedauert, bis ich sagen konnte: Ich habe ein behindertes Kind.« Die Familie war fest davon ausgegangen, dass Tom gesund zur Welt kommen würde. Im ersten Lebensjahr, als Tom noch ein Baby war, zeigten sich auch kaum Auffälligkeiten. Dann merkte Heidi F., dass Tom wohl niemals wird laufen können. Und, dass er niemals auch nur ein einziges Wort sprechen wird: »Die Erkenntnis, dass wir ein schwerkrankes Kind haben, war für uns ein großer Schock.«

Sie selbst ist sehr froh, dass ihr der Kinderarzt den Hospizdienst quasi verordnet hat. Gerade jetzt in der Krise, als sämtliche Entlastungsangebote weggebrochen sind, hätte Heidi F. überhaupt nicht gewusst, wie sie mit einem mehrfachbehinderten Kind und einem schwerstpflegebedürftigen Mann hätte zurande kommen sollen. Selbst mit Unterstützung war der Stress immens. Was Heidi F. an ihren Händen merkt: Die 44-Jährige leidet an Neurodermitis. Die hat sich in den vergangenen Wochen extrem verschlechtert: »Ich kann mit meinen Händen gerade gar nicht viel machen.«

PAT CHRIST

Hintergrund: Kinderhospizdienst

Seit seiner Eröffnung im Jahr 2016 hat der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Miltenberg 13 Familien unterstützt. Die Kinder leiden zum Beispiel an genetischen Erkrankungen sowie an Stoffwechsel-, Herz-, Muskel- oder Krebserkrankungen. Vier Kinder und Jugendliche sind seit 2016 verstorben. Der Miltenberger Dienst ist einer von 24 Kinder- und Jugendhospizdiensten, die für den Deutschen Kinderhospizverein tätig sind. pat

Quelle: https://www.main-echo.de/pressespiegel/miltenberg/wenn-schon-kindern-der-tod-droht;art23875,7046313, 14.06.2020

Weitere Neuigkeiten

FÜR
FAMILIEN
EHRENAMTSPENDENFACHLICHES